vendredi, juin 09, 2006

Das Narrenschiff


Ich denke, der folgende Text braucht kein dummes Kommentar von mir, so sieht die Welt heute also aus ... also, einfach durchlesen und genießen ! (Die dazugehörige Musik ist übrigens einfach nur genial !)
;)

Das Quecksilber fällt, die Zeichen stehen auf Sturm,

Nur blödes Kichern und Keifen vom Kommandoturm

Und ein dumpfes Mahlen grollt aus der Maschine.

Und rollen und Stampfen und schwere See,
Die Bordkapelle spielt „Humbatäterä“,
Und ein irres Lachen dringt aus der Latrine.

Die Ladung ist faul, die Papiere fingiert,

Die Lenzpumpen leck und die Schotten blockiert,

Die Luken weit offen und alle Alarmglocken läuten.

Die Seen schlagen mannshoch in den Laderaum
Und Elmsfeuer züngeln vom Ladebaum,

Doch keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten!

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken

Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,

Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,
Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken.

Klabautermann führt das Narrenschiff
Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff.


Am Horizont wetterleuchten die Zeichen der Zeit:

Niedertracht und Raffsucht und Eitelkeit.

Auf der Brücke tummeln sich Tölpel und Einfaltspinsel.

Im Trüben fischt der scharfgezahnte Hai,
Bringt seinen Fang ins Trockne, an der Steuer vorbei,

Auf die Sandbank, bei der wohlbekannten Schatzinsel.

Die andern Geldwäscher und Zuhälter, die warten schon,

Bordellkönig, Spielautomatenbaron,
Im hellen Licht, niemand muß sich im Dunkeln rumdrücken

In der Bananenrepublik, wo selbst der Präsident

Die Scham verloren hat und keine Skrupel kennt,

Sich mit dem Steuerdieb im Gefolge zu schmücken. [...]

Man hat sich glatt gemacht, man hat sich arrangiert.
All die hohen Ideale sind havariert,

Und der große Rebell, der nicht müd‘ wurde zu streiten,
Mutiert zu einem servilen, gift‘gen Gnom
Und singt lammfromm vor dem schlimmen alten Mann in Rom

Seine Lieder, fürwahr: Es ändern sich die Zeiten!

Einst junge Wilde sind gefügig, fromm und zahm,

Gekauft, narkotisiert und flügellahm,

Tauschen Samtpfötchen für die einst so scharfen Klauen.

Und eitle Greise präsentier‘n sich keck

Mit immer viel zu jungen Frauen auf dem Oberdeck,

Die ihre schlaffen Glieder wärmen und ihnen das Essen vorkauen. [...]

Sie rüsten gegen den Feind, doch der Feind ist längst hier.

Er hat die Hand an deiner Gurgel, er steht hinter dir.

Im Schutz der Paragraphen mischt er die gezinkten Karten.

Jeder kann es sehen, aber alle sehen weg,

Und der Dunkelmann kommt aus seinem Versteck
Und dealt unter aller Augen vor dem Kindergarten.
Der Ausguck ruft vom höchsten Mast: Endzeit in Sicht!

Doch sie sind wie versteinert und sie hören ihn nicht.
Sie zieh‘n wie Lemminge in willenlosen Horden.

Es ist, als hätten alle den Verstand verlor‘n,
Sich zum Niedergang und zum Verfall verschwor‘n,

Und ein Irrlicht ist ihr Leuchtfeuer geworden.
[...]

Reinhard Mey

Reinhard Mey - Das Narrenschiff (mp3)

2 Comments:

Blogger C G said...

Buchtipp: Sebastian Brant - Das Narrenschiff

11:23 PM  
Blogger claire said...

zurzeit lese ich ja nur matura-stoff ... habs aber schon auf meiner liste drauf ;)

12:52 PM  

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